Er gilt als einer der Architekten des Dortmunder Aufschwungs nach der Fast-Pleite 2005 und ist zudem der dienstälteste Manager der Fußball-Bundesliga. Doch im Sommer 2022 geht Michael Zorc kurz vor seinem 60. Geburtstag in Rente. In einem Interview der Deutschen Presse-Agentur erzählt der gebürtige Dortmunder seine Lieblingsanekdote aus seiner langen BVB-Zeit, lobt den neuen Trainer Marco Rose und bezeichnet die Spekulationen um Erling Haaland als heiße Luft.
Michael Zorc, nach unglaublichen 44 Jahren als Spieler und Verantwortlicher bei nur einem Verein nehmen Sie im kommenden Jahr Abschied. Wie fühlt sich das an?
Da muss ich sie ein wenig enttäuschen, weil ich diese Gedankengänge im Moment einfach nicht habe. Ich bin total fokussiert auf die Saison und schwelge nicht in Erinnerung und Romantik. Ich will auch 2021/22 erfolgreich sein! Ich sehe mich nicht auf einer Abschiedstournee, sondern bin voll in der Planung der kommenden Spielzeit. Deshalb denke ich nicht viel darüber nach, dass es das letzte Jahr für mich ist. Aber natürlich versuche ich - in den wenigen ruhigen Phasen, die es gibt - das Ganze bewusst mitzunehmen und einfach zu genießen.
Auch wenn Sie sich mit dem Gedanken an die Rente noch schwer tun, Ihre Lieblingsanekdoten aus Ihrer langen Zeit können Sie uns doch sicher schon erzählen.
Es gibt so unglaublich viele. Es würde den Rahmen sprengen, auch nur einen Bruchteil zu erzählen. Eine einzige vielleicht: Als ich meine Profikarriere beendet hatte, bin ich in meiner neuen Rolle nach Brasilien geflogen und habe Dede verpflichtet. Dede war mein erster Transfer - und einer der besten. Kurze Zeit später ist er in unserem Trainingslager am Vierwaldstättersee in der Schweiz angekommen. Nach einer harten Einheit bei heißem Wetter waren alle Profis im See, um sich abzukühlen - nur einer nicht: Dede. Ich fragte ihn: Warum gehst du nicht ins Wasser. Er war starr vor Angst und sagte: Nein, niemals - Krokodile.
Nach Dede gab es zahlreiche andere Transfers. Insgesamt haben Sie in Ihrer Zeit als BVB-Sportdirektor sage und schreibe zwischen 1,5 und 2 Milliarden Euro mit An- und Verkäufen von Spielern umgesetzt. Wird Ihnen bei einer solchen Summe nicht noch im Nachhinein ein wenig schummerig?
Wahnsinn. Wenn man diese Zahl hört, erschlägt sie einen fast. Da wird einem Angst und Bange. Ich hätte nie gedacht, dass wir so viel Geld bewegt haben.
Einige schöne Transfererlöse haben Ihnen in der Szene viel Respekt eingebracht. Mit Dembélé hat der BVB über 140 Millionen Euro, mit Sancho über 85 Millionen verdient. Und auch bei Aubameyang und Pulisic blieb am Ende viel Geld übrig. Was war Ihr bester Transfer?
Die schönsten Transfers sind die, die günstig erworben wurden, sportlich beim BVB sehr erfolgreich waren und am Ende hochpreisig verkauft wurden. Aber es gab ja zugegeben auch den einen oder anderen, bei dem es in die andere Richtung ging.
Sie haben nicht nur zahlreiche Profis, sondern auch zahlreiche Trainer kommen und gehen sehen. Doch im Gegensatz zu vielen Spielertransfers verlief die Trainerauswahl seit der Klopp Ära mit Tuchel, Bosz, Stöger oder Favre weniger erfolgreich. Woran lag es?
Da muss ich Einspruch einlegen. Natürlich hat Jürgen Klopp einen langen Schatten hinterlassen. Aber die Zeit mit Thomas Tuchel war sportlich erfolgreich. Wir sind mit riesiger Punktzahl Vizemeister geworden und haben den Pokal gewonnen. Die Trennung hatte letztlich ganz andere Gründe. Aber natürlich hat es auch die ein oder andere Entscheidung gegeben, die nicht so funktioniert hat, wie wir und das vorgestellt haben.
Nun ist die Wahl auf Marco Rose gefallen. Es heißt, er käme Klopp sowohl als Typ als auch mit seiner Fußballphilosophie am nächsten. Was halten Sie von solchen Vergleichen?
Es scheint bei vielen so eine Art Urwunsch zu sein, eine Klopp-Kopie zu suchen und zu finden. Aber ganz ehrlich nicht für uns. Dadurch, dass es immer wieder behauptet wird, wird diese Story ja nicht wahrer. Das ist in erster Linie ein Medienthema. Wir suchen einfach einen Trainer, der in dieser Situation am besten zum BVB passt und mit dem wir die höchste Wahrscheinlichkeit haben, erfolgreich Fußball zu spielen. Er kann einen ganz anderen Ansatz haben. Er muss nicht wie Jürgen Klopp aussehen, er muss nicht so reden, er muss auch nicht Skat spielen. Das sind alles Märchen. Und ehrlich gesagt ziemlich unsinnige…
Welchen Eindruck haben Sie denn bisher von Marco Rose?
Einen sehr guten. Mir gefällt seine sehr kommunikative Art, er nimmt alle Spieler und das Team hinter dem Team immer mit. Er ist ein Trainer, der in seinem Umfeld eine positive Energie erzeugt. Genau das brauchen wir. Und seine fachliche Qualität ist ohnehin über jeden Zweifel erhaben.
Laut Kapitän Marco Reus muss sich der BVB mit diesem Kader hohe Ziele setzen und versuchen, deutscher Meister zu werden. Stimmen Sie ihm zu?
Ich finde es gut, wenn unsere Spieler ambitioniert sind. Besonders gut finde ich, was Marco als Erklärung angeführt hat: dass die letzten acht Spiele der vergangenen Saison unser Maßstab sein sollen. Wir wussten, wir müssen jedes Spiel gewinnen, um noch in die Champions League einzuziehen - und die Mannschaft hat diesem Druck standgehalten. Wir haben unter schwierigsten Bedingungen erfolgreich Fußball gespielt. Das wünsche ich mir über einen längeren Zeitraum. Aber wir werden nun nicht so blauäugig sein, die Meisterschaft als Ziel auszurufen.
Seit Monaten kursieren Gerüchte über einen Abgang von Erling Haaland. Bei Ihren ständigen Dementis haben Sie sich schon wie der „Papagei von Dortmund“ gefühlt. Gab es bei Ihnen irgendwann einmal Zweifel, dass er doch geht?
Nein, weil er nicht gehen kann, wenn wir dem nicht zustimmen. Das ist Fakt. Wir haben im Gespräch mit seinem Berater unsere Position sehr deutlich gemacht. Es gibt übrigens auch ein Zitat von Mino Raiola, demzufolge er nie mit Borussia Dortmund kämpfen wird. Aber das spielen die Medien selten, weil es nicht in die Geschichte passt. Erling hat in seiner Medienrunde in Bad Ragaz übrigens auch selbst sehr deutlich gemacht, dass er in der kommenden Saison beim BVB spielen wird.
Aber selbst Matthias Sammer, immerhin externer Berater der Borussia, hat kürzlich daran erinnert, dass der börsennotierte BVB ja auch den Aktionären verpflichtet ist. Könnte man es sich deshalb leisten, ein 175 Millionen Euro-Angebot des FC Chelsea auszuschlagen?
Das ist eine rein hypothetische Frage. A: Weil dieses Angebot nicht da ist und auch nicht erwartet wird. Und B: Weil wir ein Fußballverein sind, der darauf ausgerichtet ist, sportlichen Erfolg zu haben. Jeder Aktionär weiß, dass das unser Auftrag ist - bei Beibehaltung der wirtschaftlichen Balance. Wir müssen Erling nicht verkaufen. Außerdem: Als diese Zahlen medial kursierten, haben wahrscheinlich einige Protagonisten noch von der Super League geträumt. Das ist heiße Luft.
Mit Jadon Sancho ist der BVB-Kader um eine Attraktion ärmer. Wie schwer wiegt sein Verlust. Und wie groß ist Ihre Hoffnung, dass Neuzugang Donyell Malen die Lücken schließen kann.
Natürlich ist Jadons Weggang für uns ein Verlust. Ich habe noch nie einen Spieler in seinem Alter gesehen, der so effektiv war. Er kann auf eine unfassbare Scorer-Bilanz verweisen, die meines Wissens in diesem Alter nicht einmal Messi und Ronaldo erreicht haben. Die Menschen in England wissen noch gar nicht, wie gut er wirklich ist. Jadon war vier Jahre bei uns, es war eine absolute Erfolgsgeschichte.
Und Malen ...
Er ist ein sehr interessanter Spieler, erst 22 Jahre alt und in der Offensive sehr flexibel einsetzbar. Was ihn außerdem auszeichnet, ist seine große Schnelligkeit und Kreativität. Aber er ist ein ganz anderer Spielertyp, kann als alleinige Spitze, in einem Zwei-Spitzen-System und auf den Außenbahnen spielen. Wir stellen keinen Quervergleich an: Jadon Sancho kannst du ohnehin nicht eins zu eins ersetzen.
Mit Malen ist die größte Baustelle in der Kaderplanung geschlossen. Welche Arbeiten stehen noch an?
Wir wollen den Kader nicht zu groß werden lassen. Aber das ist kein Wunschkonzert: Der Transfermarkt ist sehr ruhig. Diesen Gegebenheiten müssen wir uns anpassen und flexibel bleiben.
Wagen Sie noch eine Prognose. Wo steht der Club in zehn Jahren - ohne ihre Mithilfe?
Ich denke genauso gut wie jetzt. Es wird nicht einfacher, sich an Bayern München heran zu robben, auch in den nächsten Jahren nicht. Wir müssen schauen, dass wir weiter kreativ und schnell bleiben. Damit wir den Anspruch, den sich der BVB über Jahrzehnte erarbeitet hat, erhalten können.